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Lexikon und Gedächtnis

Am 10. Mai 1933 brannten Bücher

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 6 Min.

Einer stand da und sah alles mit an: den Scheiterhaufen, die lodernden Flammen, das johlende studentische Volk in SA-Kluft. Er sah, wie zur Stimme des Rufers auf dem Berliner Opernplatz Bücher ins Feuer flogen, Bücher der Freunde, der Kollegen und auch die eigenen. Eine Frau erkannte ihn und rief: »Da ist ja der Kästner«. Er verschwand schnell in der Dunkelheit. Ein anderer, Kurt Tucholsky, schon lang nicht mehr in Deutschland, schrieb im fernen Schweden: »In Frankfurt haben sie unsere Bücher auf einem Ochsenkarren zum Richtplatz geschleift. Wie ein Trachtenverein von Oberlehrern.« Er werde nun langsam größenwahnsinnig, setzte er hinzu, »wenn ich zu lesen bekomme, wie ich Deutschland ruiniert habe«. Einen dritten, den bayerischen Erzähler Oskar Maria Graf, haben die Nazis nicht vollends verdammen wollen. Ein Teil seiner Romane, dachten sie, würde auch in ihre neue Zeit passen. »Verbrennt mich!« rief er ihnen voller Empörung zu: »Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach.«

In der Nacht des 10. Mai 1933 wurde ein großer Teil der deutschen Literatur, sichtbar für alle Welt, aus dem Land vertrieben. Was dem Autodafé in den Universitätsstädten folgte, ist vielfach dokumentiert. 1947 stellten Richard Drews und Alfred Kantorowicz in einer schmalen, auf Zeitungspapier gedruckten Broschur die vielen Autoren vor, die von den Nazis verboten, verjagt, ermordet wurden. Dreißig Jahre später, 1977, erschien Jürgen Serkes »Die verbrannten Dichter«, inzwischen das grundlegende Werk zur Bücherverbrennung, 2003 in einer Ausgabe mit beigefügter CD verbreitet, inzwischen vergriffen. Im September 2000 legten Hans Sarkowicz und Alf Mentzer im Europa-Verlag ein biografisches Lexikon vor, das über jene Schriftsteller informierte, die in Nazi-Deutschland lebten und schrieben. Der Band wurde nun, mit neuem und gründlichem Vorwort, überarbeitet und ergänzt, im Insel-Verlag noch einmal ediert. Er bietet mit seinen 155 Biografien und Literaturangaben eine unentbehrliche und bündige Übersicht, lässt aber hier und da auch Lücken. Es fehlen so prominente Schriftsteller wie Bernhard Kellermann, Autor des Romans »Der Tunnel«, der 1933 aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen wurde (und 1949 den Nationalpreis der DDR erhielt), der Humorist Eugen Roth, der es mit der Gedichtsammlung »Ein Mensch« zu Bestsellerehren brachte, sich aber den Nazis nie angedient hat, oder Hans Franck, der sich erzählend in die Historie zurückzog und dessen Bücher später mit Erfolg auch in der DDR publiziert wurden.

Thomas Mann hat in der Kontroverse mit Walter von Molo alles, was nach 1933 in Deutschland gedruckt wurde, in Bausch und Bogen verdammt. Ein »Geruch von Blut und Schande«, schrieb er im Herbst 1945, hafte diesen Büchern an. Er empfahl, sie allesamt einzustampfen. Der Brief, im Zorn verfasst, übersah, dass er selber noch die ersten beiden Bände seiner Joseph-Tetralogie 1933 und 1934 bei S. Fischer in Berlin hatte drucken lassen. Er übersah, dass man weder die couragierte Ricarda Huch noch Hans Fallada, weder Otto Flake noch Albrecht Goes, weder Oskar Loerke noch Rudolf Borchardt in dieses Verdikt einschließen durfte. Viele, die in Deutschland blieben, haben sich still, zurückgezogen und in geduckter Haltung durch die zwölf schlimmen Jahre gebracht, oft boykottiert, mit Schreibverbot belegt, belauert, zuweilen geduldet, meist integer bis zuletzt, auch wenn die Nazis mitunter den Eindruck erweckten, ein prominenter Autor stünde auf ihrer Seite. Rudolf Alexander Schröder, Dichter, gerühmter Nachdichter und Essayist, der sich schon früh von Hitler und seinen Getreuen distanziert hatte, wurde bei Feierstunden immer wieder mit seinem Gedicht »Deutscher Schwur« zitiert. Das war 1914 entstanden und musste nun für die Verherrlichung des Hitler-Krieges herhalten.

So viele Namen, so viele Schicksale, Brüche, so viel stiller Widerstand, Anpassung, Verbohrtheit, Verstrickung. Gottfried Benn, anfangs voller Zustimmung für den »neuen Staat« und die »Reinigung des Volkskörpers«, voller Verachtung für emigrierte Kollegen, war bald im Kreuzfeuer der Kritik, durfte nicht mehr publizieren. Erich Kästner, gehasst wegen seiner zeitkritischen Gedichte, geriet sofort auf die schwarze Liste, seine Bücher verschwanden aus den öffentlichen Bibliotheken, 1942 wurde er, zusammen mit Ernst Glaeser und Arnolt Bronnen, ganz verboten. Nur mit Goebbels' Genehmigung durfte er zum UFA-Jubiläum das Drehbuch für den 1943 uraufgeführten »Münchhausen«-Film schreiben. Seine Autorschaft freilich wurde verschwiegen.

Andere schreckten auch ohne Not vor Zugeständnissen nicht zurück. Ina Seidel, die durch die verwandtschaftliche Nähe zu Peter Suhrkamp hätte wissen können, wie dieses Regime beschaffen war, brachte es, blind gegenüber den politischen Realitäten, 1944 sogar auf die Liste der »unersetzlichen Schriftsteller«, wo gerade mal sechs Namen standen. Nach Kriegsende gab sie in einem Brief an Paul Wiegler leise zu, »für einige Zeit der Suggestion der nationalsozialistischen Parolen erlegen zu sein«. Der Österreicher Franz Tumler, der den Einmarsch der Wehrmacht ins Sudetenland mit drei Propagandaschriften feierte und später zu den wichtigsten Erzählern seines Landes zählte, wurde deutlicher. Er sprach 1967, als er sein damaliges Verhalten reflektierte, unumwunden von »Blindheit« und »Versagen«. Ganz anders Luise Rinser. Sie löschte 1945, was sie gewesen war und geschrieben hatte. Kein Wort über ihre Mitgliedschaften in NS-Organisationen oder ihre »Führer«-Feiern. Stattdessen stilisierte sie sich 1981 in der Autobiografie »Den Wolf umarmen« erfolgreich zur Antifaschistin, die nur knapp der Hinrichtung entkam.

Für viele Autoren von Beumelburg über Dwinger, Agnes Miegel bis Kurt Ziesel begann 1933 die große Zeit. Sie machten mit Gedichten, Romanen oder Filmen Karriere, und so wie bei Gerhard Schumann brach diese auch nach 1945 in der Bundesrepublik nicht ab. Schumann, 1911 geboren, völkisch erzogen, Dramatiker und heroischer Kriegsdichter, hat zwar am 10. Mai 1933 die Bücherverbrennung in Stuttgart und Tübingen verhindert, weil er darin nicht den geeigneten Umgang mit »undeutscher Literatur« sah, aber er gehörte zu den maßgeblichen Gestalten in der Kulturbürokratie: Präsident der Reichsschrifttumskammer, Mitglied des Reichskulturrats, aktiv im Kulturkreis der SA, später Generalintendant des Württembergischen Staatstheaters, am Ende des Krieges auch Obersturmführer in der SS. Als Dissident, dem ein süddeutsches Gericht bescheinigte, nur zu den »Minderbelasteten« zu gehören, tauchte er wieder auf, gedruckt erneut in hohen Auflagen, ein Star in rechtsextremen Kreisen, der seine großen Erfolge aus der NS-Zeit nun noch einmal unters nahestehende Lesevolk brachte.

Die Emigranten dagegen, willkommen allein im Osten, waren im Westen unerwünscht. Sie hatten Deutschland, wie man ihnen vorhielt, im Stich gelassen. Jetzt, unter Adenauer, mussten sie büßen. Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger oder Arnold Zweig blieben lange Unbekannte. Den literarischen Kanon im Westen bestimmten, so die Verfasser des Lexikons, Ina Seidel, Hans Carossa oder Rudolf Hagelstange, »die Autoren, die sich für die herausragenden Vertreter der ‚Inneren Emigration’ hielten«. Ob sie sich mit dem NS-Regime arrangiert hatten oder nicht, wollte kaum einer wissen.

Hans Sarkowicz / Alf Mentzer: Schriftsteller im Nationalsozialismus. Ein Lexikon, Insel Verlag, 676 Seiten, geb., 48 €.

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